„Weltenwandler“ Sally Perel starb am 2. Februar 2023 in Tel Aviv

„Weltenwandler“ Sally Perel starb am 2. Februar 2023 in Tel Aviv

Sally Perel starb ab 2. Februar (2023) in Tel Aviv im Alter von 98 Jahren. Der im Jahr 1990 als „Hitlerjunge Salomon“ berühmt gewordene Autor und jüdische Zeitzeuge der NS-Verbrechen widmete sein Leben der Aufklärung der Nachgeborenen zu den Verbrechen der NS-Diktatur am jüdischen Volk, insbesondere der jungen Generation

Im Jahr 2018 war er als Zeitzeuge Gast der Oberstufe des Graf-Adolf-Gymnasiums. Unter den rund 200 Jugendlichen hatte der Bericht des fast 93jährigen seit 1946 in Israel lebenden Mannes eine Atmosphäre spürbarer Konzentration und Faszination. Er ermunterte sie, durch die Wahrheiten seines Berichts Zeitzeugen in seiner Nachfolge zu werden. Durch die Veröffentlichung seiner Autobiografie „Ich war Hitlerjunge Salomon“, deren Verfilmung ebenfalls 1990 international Furore machte, bekannte er erstmals, dass er von 1941 bis 1945, in Abwendung akuter Todesgefahr, ein Leben als ‚Hitlerjunge Jupp‘ führte.

Die Überlebensgeschichte Sally Perels ist grandios, und dies wurde den Jugendlichen der damaligen GAG-Oberstufe, denen er sich 80 Minuten lang frei erzählend, thematisch breitgefächert und äußerst zugewandt widmete, ungemein interessiert aufgenommen und in einer anschließenden langen Fragerunde vertieft.

Die Jugendlichen lauschten gespannt und fasziniert seinen Informationen, Deutungen und Appellen. Seine Erfahrungen auf der Opfer- und der Täterseite vermitteln glaubwürdige Fakten zum Holocaust in all seinen Facetten. Es war Sally Perel wichtig, heutigen Jugendlichen Wahrheiten über den Holocaust zu vermitteln. Er wollte sie dadurch resistent gegen Verharmlosung, Holocaust-Leugnung und insbesondere neuerliche Neonazi-Tendenzen machen.

Nun, nach seinem Tod, sind seine Adressat*innen der letzten 30 Jahre aufgefordert seine Zeugenschaft, wie von ihm gewünscht, selber zu übernehmen und das von Perel Erlebte und Vermittelte weiterzugeben – nicht nur an Jüngere.

(Hö)

INFO-Box Sally Perel:

Im Zentrum von Sally Perels Jugendzeit stand ein von NS-Antisemitismus bewirkter und nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erzwungener Identitätswechsel. Als Sohn eines Schuhhändlers und Rabbiners in der niedersächsischen Kleinstadt Peine hatte er zunächst glückliche Kinderjahre erlebt, was sich jedoch bald nach 1933 durch Verwüstung des Schuhgeschäfts und private Anfeindungen radikal veränderte. Nach einem Schulverweis 1935 im Kontext der „Nürnberger Gesetze“ siedelte die Familie in das polnische Lodz um, dem Herkunftsort ihrer Vorfahren. Der Neuanfang endete im September 1939 nach dem deutschen Überfall auf Polen, als der Familie die Verweisung in das dortige Ghetto „Litzmannstadt“ vor Augen stand. Die Eltern veranlassten ihn und seinen älteren Bruder zur Flucht in das von Sowjets regierte Ostpolen. Hier stand der väterlichen Auftrag „Verratet nie Euren jüdischen Glauben!“ im Fokus und andererseits der beschwörende Abschiedswunsch der Mutter „Ihr sollt leben!“

1941, in einem sowjetischen Kinderheim in Ostpolen, holte die NS-Judenverfolgung den 16jährigen beim Einmarsch der Deutschen erneut ein. Hier gelang es ihm, sich als „Volksdeutscher“ auszugeben und mit der Identität des „Josef Perjell“ (mit Spitznamen „Jupp“) in einer Wehrmachtseinheit zum deutsch-russischen Dolmetscher zu werden. Ein Hauptmann, der ihn  adoptieren wollte, ordnete ihn in eine Braunschweiger HJ-Schule ab. Dort war bis 1945 sein Leben geprägt von innerer Spaltung zwischen „Jupp“, der als Hitlerjunge das Hakenkreuz trug und „volksdeutsche“ Begeisterung mimte und seine wahre Identität des Sally verbergen musste. Die Beschneidung als physisches Merkmal seiner Religion war dabei das wohl markanteste Risiko, bei dessen Umschiffung er es – wie er heute sagt – zu beachtlicher Kreativität brachte; ebenso wie beim Ersinnen zahlloser Ideen, seine Gesinnung als echt erscheinen zu lassen.

Freundschaft und Ehrlichkeit waren daher auch Themen, mit denen Perel 13 Jahre lang regelmäßig Deutschland bereiste, um hauptsächlich Jungendlichen die Alltagsnöte seines innerlich gespaltenen Lebens als ‚Hitlerjunge Jupp’ nahe zu bringen.