Weltenwandlerin zu Gast am GAG – Alltag Jugendlicher in Afghanistan – vermittelt durch Annette Erös

Weltenwandlerin zu Gast am GAG – Alltag Jugendlicher in Afghanistan – vermittelt durch Annette Erös

Mit einem Vortrag über den Alltag von Kindern und Jugendlichen in Afghanistan informierte am Donnerstag letzter Woche (27. November 2025) die deutsche Aktivistin und Entwicklungshelferin Annette Erös die Jahrgangsstufen 10 bis 12 am Tecklenburger Graf-Adolf-Gymnasium. Regelmäßig lädt die UNESCO-Schule in ihre Veranstaltungsreihe „Weltenwandelnde zu Gast am GAG“ Menschen ein, die sich „innerhalb dieser Welt zwischen Welten bewegen“ und ihre Erfahrungen in Vorträgen und Fragerunden teilen.

Die von Armut und politisch-religiösem Herrschaftsstreben der Taliban geprägte Situation der afghanischen Bevölkerung zu vermitteln, den Blick dabei besonders auf Kinder und Jugendliche zu lenken und vor Ort selbst Hilfsangebote zu entwickeln, darin bestehen Anette Erös‘ Verdienste um afghanische Jugendliche. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Reinhard Erös betreibt sie seit 1998 die Kinderhilfe Afghanistan, die in den Ostprovinzen Afghanistans mit dem Bau von Dorf- und Oberschulen, Waisenhäusern, Krankenstationen, Computerausbildungszentren und Berufsschulen humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe leistet. Auch schoben sie den Aufbau eines Lehrkrankenhauses der Universität Jalalabad an. Viele Jahre lebten sie selbst in Afghanistan und dem Nachbarland Pakistan, und sie haben mit ihrer Stiftung eine der wenigen NGOs (Non-Governmental-Organizations) aufgebaut, die Jugendlichen in Afghanistan bis heute beisteht. 

Annette Erös vermittelte Einblicke in das Leben und den Alltag von Kindern und Jugendlichen im heutigen Afghanistan, ergänzt durch geschichtliche Hintergründe seit den 1970er Jahren. Durchgehend ging sie auch auf spontane Fragen ein und regte mit Fotos, geografischen Karten und Zitaten eine intensive Nachfragerunde an. Die meisten afghanischen Kinder erhalten kaum Schulbildung, die zudem für Mädchen und Frauen grundsätzlich nach der sechsten Klasse endet. Bildung für alle Menschen sowie medizinische Versorgung sind aus europäischer und speziell deutscher Sicht Aspekte, die allen gleichermaßen und zumindest in ausreichender Form zustehen. Beides ist in Afghanistan seit der Invasion der Sowjetunion im Jahre 1979 und in der Folge durch die kontinuierliche Übernahme der politischen Macht durch die islamistischen Taliban – also seit circa 45 Jahren – nicht mehr gewährleistet. 

Erös vermittelte den Jugendlichen, dass im heutigen Afghanistan der weiblichen Bevölkerung Lebensteilhabe verweigert wird und die Taliban und ihr Regierungssitz in Khandahar vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt werde. Die Situation der in Armut in kargen ländlichen Gebieten lebenden Mehrheit der Bevölkerung werde bewusst konserviert, zumal ihr Leben in Großfamilien und mit sehr einfacher Lebensweise diese Situation stützt. Insgesamt werde Mädchen und Frauen, neben strengen Kleidungsvorschriften, höhere Bildung und Studium verwehrt und unter anderem „Musik, Drachensteigen und Schachspielen“ verboten. Daneben haben seit den 1980er Jahren zahlreiche Gebildete das Land verlassen. Darunter waren und sind auch zahlreiche Ärzte, was die medizinische Versorgung des Landes in einen kümmerlichen Zustand versetzt hat, angefangen bei der Ärzteversorgung und endend in katastrophalen Ausstattungen der wenigen schlecht erreichbaren Hospitäler.

Die Schwerpunkte, die Annette Erös setzte, führten die Tecklenburger Schülerinnen und Schüler in eine für sie völlig fremde Welt, in der die in unserem Land verbürgten Aspekte von Gleichheit vor dem Gesetz oder auch von Religions- und Meinungsfreiheit keine Gültigkeit besitzen und die Regierenden bewusst auf Bildung, soziale Maßnahmen und medizinische Versorgung verzichten.

Die Klasse 10a beschäftigte sich in der darauffolgenden Englischstunde damit, innerhalb ihres Schwerpunkts „einen Standpunkt mündlich vertreten“ (taking a stand) spontan den Alltag der Menschen in Afghanistan aufzugreifen. In den von Annette Erös vermittelten Informationen erkannten sie vier Kernprobleme der afghanischen Bevölkerung: Zunächst ist Afghanistan auf Grund seiner geografischen Lage ein Land der Extreme mit Höhenunterschieden, gegensätzlichen Klimazonen und grundsätzlich karger Vegetation. Durch die Herrschaft der Taliban gelten Bildungseinschränkungen in besonderem Maße für Mädchen und Frauen sowie Beschränkungen ihrer Lebensweisen und Bewegungsfreiheit. Armut und Mangel an medizinischer Grundversorgung bewirken eine deutlich geminderte Lebenserwartung aller, was durch hohe Geburtenraten in traditionellen Großfamilien nur bedingt aufgefangen wird. Das Leben in den drei bedeutenden Städten sichert den wenigsten, die dorthin umziehen, eine Existenz: Die meisten derer enden in den Slums der wenigen Städte. Die Diskussion dieser Kernthemen durch die 23 Jugendlichen der 10a war getragen von einer nachdenklichen Stimmung, die deutlich machte, dass die Worte der Weltenwandlerin Annette Erös Eindruck hinterlassen haben: ‚Nie so etwas wie Heizung, fließendes Wasser und Zugang zu Bildung erlangen zu können und nur durch private Aufwendungen unzureichende ärztliche Hilfe zu erlangen, sind Aspekte, die in sonstigen Berichten über Afghanistan nicht auftauchen. „Taking a stand“, Stellung beziehen durch persönliches Engagement, ist das, was Annette Erös in ihren Vortragsreisen durch Weitergabe an Sachwissen praktiziert, so wurde erkannt: Dieses Sachwissen sei wertvoll und könne man mit anderen Menschen teilen: Ein Hauptziel der Weltenwandlerin scheint erreicht!

Für die Kinderhilfe Afghanistan soll am GAG eine Spendenaktion initiiert werden, sagte Schulleiterin Evelyn Futterknecht, die mit einer achten Klasse in den Vortrag gekommen war.

(Ho)